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Aus dem Leben eines Filesharers – Teil 1: Wie alles begann, die Zeit vor Napster

Gegen Ende der 90er Jahre begab es sich, dass eine junge, aufstrebende Technologie, die auf den etwas seltsamen Namen “World Wide Web” hörte, zunehmend an Bekanntschaft gewann. Ungefähr fünf Jahre zuvor war der breiten Öffentlichkeit zum Ersten mal Zugriff auf besagtes “World Wide Web” gewährt worden, und mittlerweile hatten es schon einige Leute für sich entdeckt. Zugegeben, das WWW war damals weder schnell, noch billig, bot aber schon eine immense Menge an Informationen für den interessierten Surfer. Zu dieser Zeit
modem_28_8hatte ich das Glück, der stolze Besitzer eines 28.8er Modems zu sein. Abends nach 18 Uhr gab’s den billigen Tarif (18 Groschen pro Minute, anstelle der 53 Groschen tagsüber), was für mich bedeutete den Kippschalter an der Rückseite des Modems umzulegen und auf “Verbinden” zu klicken. Und nach 30 Sekunden und einem für geneigte Hörer überaus melodisches Pfeifkonzert eröffnete sich mir die schier grenzenlose Weite des Internets. Excite (archive.org) und Yahoo (archive.org) waren damals die Suchmaschinen meiner Wahl; fand die eine es nicht, wurde auf der anderen gesucht. Einige meiner Lieblingsseiten ( neben meiner eigenen Homepage auf http://www.geocities.com/TimesSquare/Dungeon/8468 ) waren die Internet Movie Database, die damals aber noch ein wenig bescheidener aussah, die World of Nintendo und natürlich Azrails Emulation Page. Außerdem frequentierte ich ziemlich stark diverse MIDI Seiten, die damals noch viel leichter zu finden waren. Unzählige Fans hatten sich hier die Mühe gemacht, Note für Note und Takt für Takt ihrer Lieblingssongs in den Computer zu klopfen, um sie mit anderen Fans zu teilen. Auf diesen Seiten bekam ich Songs, die in den Läden schon seit Jahren nicht mehr zu kaufen waren. Zugegeben, ohne Gesang, aber besser als nichts. Und glaubt jetzt nicht, ich war nur zu geizig um Musik zu kaufen. Nebenbei habe ich zu dieser Zeit nämlich jede Bravo Hits gekauft, die neu rausgekommen war. Sage und schreibe 300 Schilling und zwar auch dann, wenn mir auf beiden CDs nur gerade mal eine Hand voll Songs überhaupt gefallen haben (ist oft genug passiert). Und eines Tages, wieder mal auf der Suche nach MIDI Musik im Netz, stieß ich durch Zufall auf ein fremdartiges, neues Format, auf das ich mir keinen Reim machen konnte. Es hatte die Endung .mp3 und die Files waren deutlich größer als jedes MIDI File. Andererseits waren sie aber auch deutlich kleiner als die Wave Files, wie sie der Soundrekorder ausspuckte. Neugierig geworden, fing ich an, ein wenig im Internet zu recherchieren. So erfuhr ich, dass .mp3 die Endung eines vom Fraunhofer Institut entwickelten Audioformats war. Es existierten auch schon einige Player für dieses neue Format. Der am meisten gelobte war damals Winamp, weswegen ich gleich dessen Homepage besuchte und ihn runterlud.
Ungeduldig wartete ich darauf, dass der Winamp Installer seine Arbeit beendete. Als es dann soweit war, und ich das erste mp3 File meines Lebens öffnete, traute ich meinen Ohren kaum. Was da aus den Boxen meines PCs kam, war tatsächlich der komplette Song. Keine MIDI Instrumente sondern der wirkliche und wahrhaftige Song in fast CD Qualität.
Um meine Überraschung für die jüngeren Leser ein wenig zu erklären: Zur damaligen Zeit belief sich die übliche Größe eines Songs in CD Qualität auf ca. 30 bis 40 MB (PCM Wave Format) und mit den Modems der damaligen Zeit hätte das Herunterladen einer solchen Datei schlimmstenfalls mehrere Tage gedauert. Und das hätten sich ein Großteil der Internet User (mich eingeschlossen) bei einem Tarif von 50 Groschen pro Minute einfach nicht leisten können.
An diesem Tag brach für mich eine neue Ära an. Endlich konnte ich mir Songs die ich wollte, einfach herunterladen, und musste nicht mehr stundenlang vor dem Radio warten, um sie aufzunehmen falls sie gespielt wurden, nur um mich nachher maßlos zu ärgern, weil wieder mal der Moderator reingequatscht hatte. Die einzige Schwierigkeit bestand nun darin, betreffende Songs im Internet aufzutreiben. Dafür wurden Suchmaschinen hinzugezogen. MP3 Files wurden nämlich in der Zeit vor P2P noch über Websites getauscht. Da gab es zum Beispiel Seiten, auf die man seine Songs hochladen konnte, um sie dem Rest der Welt zur Verfügung zu stellen. Auf manchen Seiten, wurden Songs aber auch im Tausch gegen andere Songs angeboten.
So lebten wir unser Leben, waren zufrieden mit dem was wir hatten, und tauschten fleißig Musik mit Gleichgesinnten. Dennoch war das eher ein Randgruppenphänomen, die Auswahl war begrenzt und die Beschaffung der Songs doch relativ kompliziert. Und zum Thema Illegalität: Auf den Gedanken wäre lange vor den Propagandakampagnen der Musikindustrie nie jemand gekommen. Es war ja nichts anderes, als im Kollegenkreis CDs zu kopieren. Nur eben mit Kollegen aus dem Internet anstatt aus der Nachbarschaft.